IKL in dem Sinne von Lernen über andere Kulturen und Lernen von
anderen Kulturen ist meiner Meinung nach in der heutigen Zeit des globalen
Zusammenwachsens auf vielen Ebenen eine Notwendigkeit, vergleichbar mit
der Notwendigkeit, den Umgang mit dem PC und den modernen
Kommunikationsmitteln zu erlernen. Die Gesellschaften und
Volkswirtschaften, die nur auf das Wissen um ihren eigenen Kulturkreis
beschränkt bleiben, werden in Zukunft einen vielleicht entscheidenden
Wettbewerbsnachteil haben.
Es kann dabei nicht darum gehen, unsere kulturellen Traditionen
weitgehend aufzulösen und unkenntlich werden zu lassen. Gerade wenn man
mit Angehörigen anderer Kulturen erfolgreich umgehen möchte, muss man
sich seiner eigenen Wurzeln möglichst deutlich bewusst sein, aber auch in
der Lage sein, den Unterschied zwischen z.B. persönlichen Eigenheiten und
kulturell bedingten Verhaltensweisen zu erkennen. Unabhängig von dem
Prozentsatz an Ausländern an unseren Schulen müssten wir also ein
Interesse daran haben, unseren Schülern möglichst viel über ihre eigene
und andere Kulturen zu vermitteln. Die Industrie stellt sich inzwischen
auch schon auf diese Herausforderung ein und bietet Studiengänge an, die
solche Inhalte in die Management-Ausbildung integrieren.
Natürlich finde ich es legitim, wenn wir an den Schulen die
Beschäftigung mit IKL auch dahingehend einsetzen, dass Probleme
angesprochen und eventuell verringert werden können. Über ein größeres
Wissen über den anderen komme ich normalerweise auch zu größerem
Verständnis für sein Verhalten und damit zu größerer Toleranz. Auf
diese Weise kann IKL sicher auch dazu beitragen, das Klima an den Schulen
mit großem Ausländeranteil in der Weise zu verbessern, dass das
Miteinander der verschiedenen Gruppen sich friedlicher gestaltet.
Der Begriff "Interkulturelles Lernen" kommt bei Schulen
meistens dann ins Spiel, wenn es Probleme gibt, die von den Lehrern und
Eltern in irgendeiner Weise in Verbindung gebracht werden mit der
Tatsache, dass es an der Schule einen beträchtlichen Anteil an Schülern
mit nicht-deutschem kulturellem Hintergrund gibt. Über IKL erhofft man
sich dann eine Hilfe zur Lösung der unterrichtlichen und disziplinären
Probleme. Bei den Schulen, die eine Fortbildung zu diesem Thema anfragen,
stehen dementsprechend Fragen der konkreten Unterrichtsgestaltung und der
Hilfe im konkreten Umgang mit Schülern im Vordergrund. IKL bekommt
dadurch auf der einen Seite den Stellenwert einer Art Notprogramm, das
dann eingesetzt wird, wenn man mit den bekannten Methoden nicht mehr
ausreicht, auf der anderen Seite wird an IKL fast der Anspruch eines
Allheilmittels gestellt. Alle Schwierigkeiten, die durch die sehr
unterschiedlichen Klassenzusammensetzungen erzeugt werden, sollen durch
IKL beseitigt werden.
Hier wird wahrscheinlich ein zu hoher und wohl auch falscher Anspruch
an IKL gestellt. Wir erteilen auch nicht deshalb Religionsunterricht,
damit wir die Problematik des Diebstahls in Schulen oder der Benutzung von
Mogelzetteln in Klassenarbeiten in den Griff bekommen können. Durch die
dort vermittelten Inhalte kann sich in dem einen oder anderen Fall in
dieser Hinsicht eine Verhaltensänderung ergeben, wir würden aber den
Erfolg oder die Sinnhaftigkeit des Religionsunterrichts nicht daran
messen.
Auch das IKL kann u.U. seinen Beitrag zu einem friedlichen und
produktiven Umgang der verschiedenen Kulturen leisten, dies ist aber
sicher nicht die einzige Begründung dafür, dass wir uns an allen Schulen
in einem stärkeren Maße als bisher mit den Inhalten und Möglichkeiten
von IKL auseinandersetzen müssen. Der Vergleich mit dem
Religionsunterricht ist insofern nicht ganz zutreffend, da IKL nach meiner
Auffassung nicht als ein eigenständiges Unterrichtsfach gelehrt werden
sollte, sondern in seinen Inhalten in allen Unterrichtsfächern auftauchen
kann. Eine Schule, die sich zur Aufgabe macht, IKL zu einem festen
Bestandteil seiner Curricula zu machen, müsste also an alle Fachkollegen
die Frage stellen: Wo könnt ihr in eurem normalen Fachunterricht
Möglichkeiten finden, Inhalte des IKL zu behandeln? Die Blickrichtung
muss von Anfang an darauf gerichtet sein, nicht ein weiteres Anschwellen
des Curriculums zu provozieren, sondern nur die Betrachtungsweise oder die
Akzente zu verschieben, so dass man ohne zeitlichen Mehraufwand Themen
behandeln kann, die einen Beitrag zum IKL leisten. So betrachtet ist IKL
auch ein interdisziplinäres Lernen und kann die Forderung nach
fächerübergreifendem Unterricht nachhaltig unterstützen. Eine wichtige
Aufgabe für die nächste Zukunft wird also sein, Unterrichtsinhalte für
die einzelnen Unterrichtsfächer zu beschreiben und mit
Unterrichtsmethoden aufzubereiten, die den Anspruch von IKL erfüllen und
auch von Kollegen eingesetzt werden können, die sich noch nicht sehr
intensiv mit diesen Inhalten auseinandergesetzt haben. Wenn man die
Curricula der verschiedenen Fächer durchforstet, wird man wahrscheinlich
auf eine Reihe von Themen stoßen, die schon immer Bestandteil des
Unterrichts waren und für eine entsprechende Aufbereitung im Sinne des
IKL geeignet sind. An vielen Stellen wird das auch von den Kollegen schon
geleistet und es genügt, sich deutlich zu machen, dass man bei dieser
oder jener Thematik schon einen Beitrag zum IKL leistet. Wenn man dann
noch etwas bewusster als bisher schon geschehen darauf hinarbeitet, dann
ist schon ein wichtiger erster Schritt getan. Wenn der Blick dafür erst
einmal geschärft ist, dann wird man sehr viele Möglichkeiten finden, um
auf kulturelle Eigenheiten und ihre Bedeutung zu verweisen und ihre
Einflussnahme deutlich zu machen.
Als nächster Schritt kann eine Schule konkret die Aufgabe verteilen,
in allen Unterrichtsfächern nach Möglichkeiten zu suchen, Projekte, die
interkulturelle Fragestellungen beinhalten in ihre Curricula einzubauen.
Es wäre also zu fragen, ob der eine oder andere traditionelle
Unterrichtsinhalt ersetzt werden kann durch einen Inhalt des IKL. Auch
hierzu müsste man Beispiele finden, die verdeutlichen können, in welche
Richtung solche Überlegungen führen. Einige Projekte müssten
exemplarisch geplant und ausprobiert werden, damit die interessierten
Lehrer anhand dieser Beispiele in eigener kreativer Weise weiterdenken
können. Mit den heutigen technischen Mitteln kann man ohne weiteres eine
Börse für solche Unterrichtsprojekte einrichten, von der man sich
natürlich Ideen für den eigenen Unterricht abrufen kann. Wenn die
Kollegen entsprechend bereit und geschult sind, können sie mit Hilfe
solcher Materialien ihre eigenen Kompetenzen in IKL ständig erweitern.
Der Aufwand für den Einzelnen wird entsprechend geringer, wenn man die
Ideen vieler zusammenbringen kann.
Eine dritte Stufe wären dann fächerübergreifende Projekte, die die
Thematik in einem größeren und öffentlichkeitswirksameren Stil angehen.
Dies erfordert dann allerdings schon eine Zusammenarbeit mehrerer Kollegen
und einen entsprechend höheren Organisationsaufwand. Auch für solche
Einzelveranstaltungen oder Projekttage ließen sich Vorschläge erarbeiten
und eine Tauschbörse einrichten. Eine Akzeptanz und Bereitschaft zur
Mitarbeit bei einer breiteren Masse eines Kollegiums wird man
wahrscheinlich für die dritte Stufe am einfachsten erreichen können.
Solche punktuell ausgerichteten Maßnahmen erfordern zwar eine
augenblicklich etwas größere Anstrengung, aber auf der anderen Seite
kann man sie sich, subjektiv gesehen, auch etwas leichter zumuten, da sie
nicht zur Dauereinrichtung werden und man ohnehin ähnliche
Veranstaltungen zu anderen Themen machen müsste.
Die Tatsache, dass an den Schulen unterschiedliche kulturelle
Erfahrungen vorhanden sind, kann in diesem Sinne für das IKL nur eine
Bereicherung sein. Die Lerninhalte können in vielen Fällen auf ihre
Substanz hin geprüft werden, Anschaulichkeit ist leicht herzustellen, und
der Sinn der Unterrichtsinhalte ist den Schülern sofort unmittelbar
einsichtig zu machen. Für das soziale Gefüge in einer Klasse kann es
sich positiv auswirken, wenn jeder Schüler einmal die Möglichkeit hat,
als Experte aufzutreten und u.U. auch einmal mehr zu wissen als der
Lehrer.
IKL kann nicht nur auf der kognitiven Ebene ansetzen, sondern muss ganz
genauso die affektive Ebene einbeziehen. Es müssen also Möglichkeiten
geschaffen werden, rein informativ über die anderen Kulturen zu lernen
aber auch zumindest in Ansätzen die Emotionalität in bestimmten
Situationen zu erleben. In diesem Sinne gehört zum IKL auch das Erleben
von Andersartigkeit und Unsicherheit, die man in einer fremden Umgebung
mit unbekannten Spielregeln und anderer Sprache empfindet.
Damit die oben skizzierten Überlegungen auch an Schulen zum Tragen
kommen können und es eine Chance gibt, IKL an Schulen zu einem ganz
normalen und selbstverständlichen Bestandteil des Unterrichts werden zu
lassen, müssen die Lehrer sicher auch in gewisser Weise fortgebildet
werden, damit sie zumindest mit entsprechenden Unterrichtsinhalten
vertraut sind und auch den Mut haben, in ihren Klassen damit anzufangen,
weil sie sich kompetent genug fühlen, diese Inhalte zu vermitteln. In
entsprechenden Fortbildungen müssten also auch die Lehrer mit solchen
Inhalten vertraut gemacht werden und ihre Umsetzung üben können. Auch
die Lehrer würden sich auf diese Weise bald sicherer im Umgang mit
Schülern mit nicht-deutschem kulturellen Hintergrund fühlen, allein das
könnte schon eine spürbare Verhaltensänderung aller Beteiligten
bewirken.
Über die rein unterrichtliche und schulische Behandlung des Themas
hinaus ist der Bereich des IKL an Schulen auch auf die außerschulische
Umgebung auszuweiten. Je nach den Bedürfnissen der einzelnen Schulen und
auch nach ihren Ressourcen ist es möglich, ein mehr oder weniger eng
gewebtes Netzwerk zu schaffen, in dem Institutionen, die auch in
irgendeiner Weise mit Ausländern zu tun haben, zusammenarbeiten. Zu
denken ist dabei an Jugendzentren, türkische Kulturvereine,
Moschee-Vereine, Asylanten-Hilfskreise, Kirchen, Ausländerbeiräte usw.
.Hier kann eine Schule sich natürlich auch im Rahmen ihres Schulprogramms
einen eigenen Schwerpunkt schaffen und nach ihren Wünschen Akzente
setzen, die nicht allgemein für jede Schule angestrebt werden müssen.
Uwe Jäkel